Projektleiter, die in der Softwarebranche arbeiten, kommen um agile Methodenkenntnisse mittlerweile kaum noch herum. Aber auch in anderen Bereichen wird es immer wichtiger, sich mit Agilität gut auszukennen – sowohl in der Praxis als auch in der Theorie.
Manchmal sind die Gründe dafür, dass das Management (oder oft auch der Kunde) Projekte agiler durchführen möchte. Oder ein Team arbeitet bereits nach agilen Methoden, ist sich aber nicht sicher, ob es das richtig macht. Neben dem positiven Effekt für das eigene Qualifikationsportfolio ist der Wunsch nach einer fundierteren theoretischen Basis zur Praxis ist der häufigste Grund für eine Zertifizierung.
In diesem Artikel stellen wir Ihnen die agile PMI-ACP® Zertifizierung vor, den „Agile Certified Practitioner“ des amerikanischen Project Management Instituts (PMI®). Diese Projektmanagement-Zertifizierung hat in den letzten Monaten sehr an Beliebtheit gewonnen.
Für wen eignet sich die PMI-ACP Zertifizierung?
Das PMI besteht seit 1969. Seit 1995 gibt es sein Flaggschiff-Zertifikat zum „Project Management Professional“ (PMP®) für erfahrene Projektleiter, das weiterhin stark gefragt ist.
Gibt es auch eine „PMP agile“ Zertifizierung?
Nicht direkt, aber fast.
Das PMI hat einige Zertifizierungen für spezielle Bereiche. Hierzu gehört seit 2012 auch das jüngste Zertifikat zum „PMI Agile Certified Practitioner“ (PMI-ACP).
Und dieses boomt:
17.000 Zertifikatsinhaber waren es bereits 2017, also nach fünf Jahren (zum Vergleich: ca. 800.000 PMP-Zertifizierte zum gleichen Zeitpunkt).
Das PMI-ACP Zertifikat möchte all jenen einen möglichen Qualifikationsnachweis bieten, die bereits praktische Erfahrung vorweisen können:
- 1500 Stunden in agiler Projektarbeit und
- 2000 Stunden allgemeine Projekterfahrung
Letztere entfällt übrigens für PMP-Zertifizierte, was den PMI-ACP zu einer interessanten Zusatzqualifikation für diese Personengruppe macht.
Das PMI-ACP Zertifikat bietet einen Qualifikationsnachweis für Projektleiter, die bereits agil gearbeitet haben.

Bild: Die Voraussetzungen zur PMI-ACP Prüfungszulassung zusammengefasst
Als agiler Praktiker können Sie in der Prüfung nachweisen, dass Sie
- neben Scrum auch andere Methodenwerke, Ansätze und Ideen sowie deren Stärken und Schwächen und diverse Kombinationsmöglichkeiten kennen,
- mit agilen Prinzipien wie Selbstorganisation und Interdisziplinarität vertraut sind und
- situativ richtig auf beschriebene Problemstellungen reagieren können.
Bei der Prüfungsbewerbung müssen Sie außerdem 21 Kontaktstunden absolviertes Training in agilen Themen angeben. Diese Stunden können Sie erreichen entweder durch
- ein spezielles PMI-ACP Vorbereitungsseminar
- ein anderes agiles Projektmanagement Seminar oder durch
- ein Selbststudium, das Sie am besten durch protokolliertes Lesen begleiten.
Im häufigsten Fall glaubt Ihnen das PMI Ihre Angaben ohne weitere Überprüfung. Wie bei allen seinen Prüfungen behält es sich allerdings vor, einen gewissen Anteil eingegangener Bewerbungen per Zufallsprinzip einem Audit zu unterziehen. Bei diesem Audit muss der oder die Betroffene die gemachten Angaben schriftlich bestätigen und nachweisen.
Kostenloser Download (PDF): PM-Methoden – agil, klassisch oder hybrid? (ein Vergleich)
Lesen Sie in diesem PDF eine Gegenüberstellung von agilen, klassischen und hybriden Projektmanagement-Methoden.
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Wie läuft die PMI-ACP Prüfung ab?
Wie bei den meisten anderen PMI-Prüfungen sind die Vorgaben für die Durchführung recht strikt: Ablegen lässt sich der Test bei Prüfungszulassung nur in einem Computer-Testzentrum des PMI Partners Prometric. Der Teilnehmer muss den Termin selbst vereinbaren.
Von diesen Zentren gibt es in Deutschland vier; für Bewohner von Grenzregionen lohnt sich eventuell ein Blick ins benachbarte Ausland.

Bild: Terminbuchung und Anmeldung zur Prüfung erfolgt über die Website des Prüfungszentrums Prometric
In diesen Testzentren dürfen keine persönlichen Gegenstände in die Prüfungsräume mitgenommen werden, auch keine Getränke oder Essen. Lediglich einen Ausweis mit Foto brauchen Sie zum Nachweis, dass Sie tatsächlich der Prüfling selbst sind.
Sie erhalten vor Ort außerdem Ohrstöpsel zur besseren Konzentration, einen Taschenrechner und Schreibmaterial. Sie haben die Möglichkeit, alles Persönliche in Schließfächern unterzubringen. Stellen Sie sich darauf ein, dass Sie auf unerlaubte Hilfsmittel durchsucht werden.
Die Prüfung dauert drei Stunden, in denen 120 Multiple-Choice-Fragen (eine Frage, vier Antwortmöglichkeiten, davon nur eine richtig) beantwortet werden müssen.
Die PMI-ACP Prüfung auf einen Blick
- Wo findet die Prüfung statt: Computer-Testzentrum des PMI-Partners Prometric
- Wie melde ich mich an: über die Website des Test-Centers Prometric
- Was brauche ich: Ausweis mit Lichtbild
- Was darf nicht mit: persönlichen Gegenstände, Getränke, Essen (Schließfächer vor Ort)
- Was gibt es vor Ort: Ohrstöpsel, Taschenrechner, Schreibmaterial
- Wie lange dauert die Prüfung: drei Stunden (120 Multiple-Choice-Fragen)
PMI-ACP Vorbereitung
Für die Vorbereitung zur PMI-ACP Prüfung sollten Sie in etwa drei bis vier Wochen einplanen. Zuvor sollten Sie an einem PMI-ACP Training teilnehmen, das als Voraussetzung auch die 21 Kontaktstunden gewährleistet und Ihnen wichtigen Lernstoff und Hinweise für die Prüfung gibt.
So könnte etwa der Ablauf Ihrer Prüfungsvorbereitung aussehen (Empfehlung):

Bild: Empfohlene Vorbereitung auf die PMI-ACP Zertifikat Prüfung
Kosten der PMI-ACP Zertifizierung
In der folgenden Übersicht finden Sie die mit der Prüfung verbundenen Gebühren:
Wichtige Unterschiede zu anderen agilen Projektmanagement-Zertifikaten
Im Folgenden finden Sie eine kurze Übersicht beliebter agiler Zertifizierungen für den Vergleich.
Scrum Master Zertifikate
Zertifizierungen wie die folgenden drei zum
- „Certified Scrum Master“ der Scrum Alliance
- „Professional Scrum Master I“ der Scrum.org
- „Scrum Master Certified“ der ScrumStudy
richten sich primär an Personen, die das am weitesten verbreitete agile Methodenwerk „Scrum“ in der Rolle des Scrum Masters möglichst richtig umsetzen wollen. Richtig heißt hier, entsprechend den Prinzipien aus dem Scrum Guide und vor allem gemäß den Gedanken der beiden Begründer des Frameworks (Ken Schwaber und Jeff Sutherland).

Bild: Der Scrum Guide in seiner aktuellen Ausgabe von Ende 2017
Wie unterscheidet sich die PMI-ACP Zertifizierung von Scrum?
Wichtige grundlegende agile Prinzipien wie Selbstorganisation und Interdisziplinarität kleiner, dedizierter Produktteams sind auch in Scrum bereits allgegenwärtig. Die Hintergründe dafür werden aber im Scrum Guide oder in den Prüfungen kaum genauer betrachtet oder situativ hinterfragt.
Projektmanagementtheorie spielt außerdem in Scrum Prüfungen kaum eine Rolle. Die Inhalte bewegen sich größtenteils auf der Ebene von Produktentwicklungsteams incl. Product Owner und Scrum Master.
In diesen Scrum-Rollen gehen klassische Projektmanagement-Aufgaben zwar teilweise auf, werden jedoch kaum detailliert betrachtet. Zum Teil bleiben sie auch völlig unberührt, und Überlegungen dazu werden anderen überlassen. So hat sich zum Beispiel das PMI die Standardisierung von agilem Projektmanagement auf die Fahne geschrieben.
Dies gilt auch für andere Zertifikate im Scrum-Umfeld, die auf die anderen Rollen oder auf Skalierungsthemen zugeschnitten sind.
Andere agile Zertifikate
Derzeit gibt es am Markt nur wenige Formate, die sich ähnlicher Verbreitung erfreuen wie die oben genannten. Viele agile Ansätze kommen auch gänzlich ohne Zertifizierungen aus. Sie bestehen beispielsweise mehr aus Empfehlungen für Praktiken und Werte als aus relativ detaillierten Rollen- und Prozessbeschreibungen wie bei Scrum.
Einige Angebote seien an dieser Stelle erwähnt:
- Zusatzzertifikat „hybrid +“ der GPM (gpm-ipma.de)
- APMG Agile Project Management oder Agile Programme Management (apmg-international.com)
- International Consortium for Agile (icagile.com)
Die GPM bietet z.B. ihr „hybrid+“ als Zusatzqualifikation für Projektleiter an, die Inhaber ihres Level-C-Zertifikates sind (Zulassungsvoraussetzung) und konzentriert sich besonders auf hybride Betrachtungen, also die Kombinationsmöglichkeiten klassischer und agiler Ansätze.
Lesetipp: Ein Vergleich von den aktuell drei wichtigsten Zertifizierungsmöglichkeiten finden Sie hier!
PMI-ACP: Welche Inhalte Sie für die Prüfung kennen sollten
Die PMI Agile Certified Practitioner Prüfung fragt zunächst wichtige agile Themen in fiktiven situativen Fragestellungen ab. Diese müssen Sie oft aus Sicht einer generell als „agiler Coach“ oder „agiler Praktiker“ bezeichneten Person beantworten.
Neben den bereits genannten Themen Selbstorganisation und Interdisziplinarität sind das zum Beispiel:
- die Umsetzung der Werte aus dem agilen Manifest
- Wertsteigerung für Kunden und Stakeholder
- agile Bedingungen in regulierten Umgebungen, Vertragswesen
- die räumliche Zusammenführung von Teams soweit möglich
- Servant-Leadership und agile Führungsmethoden auf Augenhöhe
- Werkzeuge für effektives Facilitating (Moderieren von Gruppenprozessen)
- Face-to-Face-Kommunikation
- Informationsaustausch auch über Team- und Firmengrenzen hinweg
- Problemlösungsstrategien und Fehleranalyse
- Kontinuierliche Verbesserung und Retrospektiven
- Arbeiten mit „Information Radiators“ und „Low Tech High Touch“-Werkzeugen
Wenn Ihnen der Begriffe „Information Radiators“ bzw. „Low Tech High Touch“ noch unbekannt sind: So werden in der agilen Welt Ansätze genannt, die oft in hochgradig komplexen Technologieumgebungen eingesetzt werden. Sie sorgen für zwischenmenschliche Interaktionen und arbeiten bewusst mit haptischen Werkzeugen. Zum Beispiel, indem Planungen statt über Software mit Post-Its auf Wänden umgesetzt werden oder Teams bzw. ganze Firmen ihre aktuellen Projektneuigkeiten für alle gut sichtbar ausstellen.
Darüber hinaus testet die Prüfung Ihr Wissen zu Praktiken, Werkzeugen und Ideen aus verschiedensten agilen Methodenwerken. Dazu gehören neben Scrum auch
- der gedankliche „Urvater“ Lean Manufacturing und das daraus entstandene Kanban
- Extreme Programming (XP)
- Dynamic Systems Development Model (DSDM Atern)
- Test-Driven Development etc.
Hier finden Sie einen Überblick über agile Praktiken sowie eine Timeline für die historische Einordnung.
Abgefragt werden zudem auch Fragen zu Verbindungen verschiedener Methoden sowie generelle Betrachtungen zu hybriden Ansätzen und zum Zuschneiden von Prozessen auf Projektsituationen.
Zu guter Letzt sollten Sie sich als Anwärter auf das PMI-ACP Zertifikat auch auskennen mit:
- den Teambildungsprozessen und -theorien
- den Metriken zur Fortschrittsmessung und
- den „Buzzwords“, die im agilen Bereich gang und gäbe sind.
Hintergrundwissen aus der PMP Vorbereitung und dem „Guide to the Project Management Body of Knowledge“ (PMBOK® Guide) des PMI ist durchaus hilfreich. Das hat zwei Gründe:
- Die PMI-Sicht auf die Welt des Projektmanagements ist damit bereits deutlich vertrauter, was bei der Beantwortung von Prüfungsfragen hilft
- Einige Werkzeuge und Begriffe finden sich beim PMI-ACP wieder, zum Beispiel
- IRR / ROI / BCR (Internal Rate of Return, Return on Investment, Benefit/Cost Ratio),
- das Kano-Modell,
- das Voice-of-the-Customer-Konzept aus dem Qualitätsmanagement,
- Risikomanagement-Prozesse
- oder sogar agiles Earned Value Management etc.
Wichtige Literatur für die PMI-ACP Prüfung
Zunächst sollten Sie sich als Prüfungskandidat/in für eine PMI Prüfung immer das zum Zertifikat gehörige Handbuch und den notwendigen Lehrplan zu den Prüfungsinhalten („Exam Content Outline“) besorgen. Dies können Sie kostenlos herunterladen.
Zusätzlich empfehlenswert: Der PMBOK® Guide in der aktuellen 6. Ausgabe (zumindest grobe Kenntnis empfohlen) als Bundle mit dem „Agile Practice Guide“. Der Download ist für PMI Mitglieder kostenlos.

Bild: Der Agile Practice Guide des PMI (Neuerscheinung, September 2017)
Diese Kombination kommt nicht von ungefähr: Das PMI hat sich 2017 mit der Agile Alliance zusammengetan und dieses Dokument neu verfasst, um den übergreifenden, methodenunabhängigen agilen Ideen einen gedanklichen Überbau und eine gewisse Struktur zu geben. Deshalb sollten PMI-ACP Kandidaten damit vertraut sein, wenn sie in die Prüfung gehen.
Weitere Literatur hat das PMI online unter den Zertifizierungsinfos zusammengestellt. Gegebenenfalls empfiehlt sich auch ein gutes Vorbereitungsbuch wie „PMI-ACP Exam Prep“ von Mike Griffiths, der als einer der Mitgestalter der Prüfung nah genug an der Quelle ist, um zu wissen, was besonders prüfungsrelevant ist. Das Studium dieses Buchs erspart Ihnen größtenteils, jedes einzelne Buch aus der Referenzliste des PMI erwerben und studieren zu müssen.
Zusammen mit einem guten Vorbereitungsseminar haben Sie so einige sehr effektive Mittel für eine fundierte Vorbereitung in der Hand.
Welche sprachlichen Kenntnisse benötigen Sie für die PMI-ACP Prüfung?
Anders als beim PMP, wo eine deutsche Übersetzungshilfe bei der Bezahlung kostenlos zugebucht werden kann, besteht diese Möglichkeit beim PMI-ACP zumindest derzeit nicht.
Die Prüfung an sich ist somit ausschließlich auf Englisch.
Ein sicheres Beherrschen englischer Alltags- und Geschäftssprache, agiler Terminologie sowie PMI spezifischer Ausdrücke ist für den Prüfungserfolg absolute Voraussetzung. Ein Vorbereitungsseminar für die PMI-ACP Zertifizierung kann hierbei sehr hilfreich sein. Aber dennoch sollten Sie ein gewisses Maß an Sprachsicherheit mitbringen.
Die PMI-ACP Zertifizierung – Zusammenfassung
Das Zertifikat zum „PMI Agile Certified Practitioner“ (PMI-ACP) ist ein Pluspunkt im Lebenslauf von Projektleitern, die mit agilen Methoden bereits etwas vertraut sind. Dies gilt besonders, wenn Sie dieses Wissen auf ein stabiles theoretisches Fundament stellen wollen.
Diese agile Zertifizierung eignet sich sehr gut als Ergänzung zum „Project Management Professional“ (PMP) oder zu einer Scrum-Zertifizierung. Aber auch für sich alleine hat das Zertifikat schon viel Aussagekraft für Projektprofis im agilen Umfeld.
Mit der richtigen Vorbereitung und ausreichenden Englischkenntnissen haben Sie gute Chancen, einen agilen Qualifikationsnachweis zu erlangen, der sich branchenübergreifend stetig wachsender Bekanntheit und Beliebtheit erfreut.
Lesen Sie hierzu auch: Projektmanagement-Zertifizierungen und Projektmanager-Gehalt: Vergleich der bekanntesten Zertifikate

Antje Lehmann-Benz, PMP, PMI-ACP, PSM
Expertin / Trainerin für Agile Methoden
Antje Lehmann-Benz, PMP, ist Trainerin für Projektmanagement mit besonderem Schwerpunkt auf agilen Themen und Scrum Seminaren. Außerdem hat sie Erfahrung in Software-Trainings (JIRA, Confluence) und -Beratung. Neben der Vermittlung von Frameworks und theoretischen Inhalten hat sie Erfahrung in der Anwendung von Agile Games und praktischen Übungen zur Vertiefung der gelernten Inhalte.
Als ausgebildete Expertin für Sprachen und Medien verfügt sie neben fünf Jahren Trainingserfahrung auch über 11 Jahre aktiver Erfahrung im Projektumfeld, davon fünf in agilen Umgebungen bei Großunternehmen wie Infineon und Bosch.
Sie ist zudem seit 11 Jahren im PMI Southern Germany Chapter e.V. aktiv in den Bereichen Kommunikation und Social Media u.a.
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